Unglückliche Liebende

Unglückliche Liebende Unglückliche Liebende Verona, August. Sie sind schon ergriffen, wàhrend sie in die Via Cappello einbiegen; klopfenden Herzens uberschreiten sie die Schwelle des Hauses, wo nach der Ueberlieferung die Capulets und Julia wohnten, lassen sich die Worte auf der Gedenktafel am Eingang iibersetzen, die daran erinnert, wie um das arme Madchen « da so arg die guten Seelen weinten und die Dichter sangen », betrachten den Erker, an dem sich Julia zeigte, und daneben die Mauer, von unsterblichem Efeu uberwachsen, der Romeo behilfiich war, zur Geliebten emporzusteigen. Das Innere wurde restauriert und erst vor einem Monat dem Publikum zugànglich gemacht: Es beflnden sich hier mit Presken geschmiìkte Gemàcher und Sale, Mòbel und ZierstUcke der Epoche und, uber drei Stockwerke hinauf, weitere « Erker », von denen aus man einen zauberhaften Ausblick hat uber eine Flucht von Dàchern und Tiirmen. Die Besucher schliessen die Augen, traumen von der Stimme Romeos, wie er die Shakespeareschen Verse ausspricht, die in eine andere Tafel im Hofe eingeritzt sind: « Doch stili, was schimmert durch das Penster dort? Es ist der Ost, und Julia die Sonne! - Sie ist es, meine Gòttin, meine Liebe! ». Dann gehen sie weiter in die Via Arche Scaligere, zum Hause der Montagnes und Romeos. Leider ist es Privatb-sitz, man kann nur das Aeussere besichtigen, mit einer weiteren Gedenktafel und noch einem Zitat aus Shakespeares Werk. Schliesslich einen Abstecher noch zum Franziskanerkloster, fiir ein Photo zur Erinnerung, hàndchenhaltend vor dem Grab der Liebenden. Es steht seit Jahrhunderten leer, ist Ziel von Pilgerfahrten seit der Renaissance. Es gehòrt dies zu den Pflìchtstationen im Besichtigungsplan der zwei Millionen Touristen, die alljahrlich im Sommer nach Verona kommen: eine Million Deutsche, clreihunderttausend Dànen, dreihunderttausend Hollander, hundertzwanzigtausend Belgier, neunzigtausend Oesterreicher und Franzosen, sechzigtausend Englander und sonstiger Staatsangehórigkeit. Tausend CharterflUge prò Saison, dazu Eisenbahn und Autos. Verona fiillt sich mit einer kosmopolitischen, dicht gedràngten Menschenmasse, wie man sie sonst nur in Rom zu sehen bekommt; sie belagern die siebenundachtzig Hotels der Stadt und die Ufer des Gardasees, zwanzig Autominuten weit von Verona entfernt, mit einer Fulle von Campingplàtzen, reizenden Touristendòrfern aus Bungalows, gepfiegten Hotels. Sie fin den sich hier ein, weil Verona zwangslàufig ein Kreuzweg fUr alle ist, die vom Norden herkommen: sie kommen zur lyrischen Saison der Arena, zur sommerlichen Theatersaison, vor allem aber, um die stimmen Romeos und Julias zu vernehmen, die in dem Stàdtchen immer noch gedàmpft widerhallen. In dieser Stadt, die es verstanden hat, das Echo zweitausend Jahre alter Geschichte lebendig zu erhalten; in dieser Stadt, die sich zusammensetzt aus zauberhaften Winkeln, Ttirmen, Erkern, mit Fresken gezierten Hausern, Ziehbrunnen, Springbrunnen, zinnengekrònten Mauern, Treppen, Hofen, eisernen Gitterwerken, jahrhundertealten Strassenlampen; in dieser Stad, die sich abends mit magischen, geheimnisvollen Lichtern farbt, ist die Vorstellung der tragischen Liebesgeschichte stets greifbar natie. Doch werden in diesem Jahr fiir die Touristen die Tràumereien, denen sie an die Erker der Via Cappello gelehnt nachhangen, zur Wirklichkeit. Zur funfundzwanzigsten Shakespeare-Feier, im Rahmen deren vom 4. bis 10. Juli bereits « Antonius und Kleopatra » auf gef Uhrt wurde, wird vom 3. bis 10. August auch « Romeo und Julia » dargeboten - und zwar, wie es sich von selbst versteht, in einem antiken, eindrucksvollen Rahmen: das Ròmische Theater mit dem St. PetersHugel und dem Kastell Theoderichs am Ufer der Etsch im Hintergrond. Nach neun Jahren wird die Legende, werden die Tranen, die Stimmen der Liebenden, die seit Jahrhunderten gar selbst die Luft trànken, auf der Buhne wieder ins Leben gerufen, um Tausenden von Zuschauern das Herz zu ruhren.

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